Kommentar der Woche: Erziehungsberatung im Kreis Calw: Eine Zwischenbilanz

Veröffentlicht am 13.08.2008 in Politik
Dipper
Richard Dipper

12.8.2008

Es bewegt sich was im Landkreis Calw in Sachen Erziehungsberatung, das personelle Angebot wird künftig verdoppelt. Es zeigt sich, dass Hartnäckigkeit der Kreistagsfraktionen der SPD und der Grünen gepaart mit Engagement von Eltern, Lehrerinnen und Sozialarbeitern und Unterstützung der Presse durchaus Erfolg bringen kann. Allerdings gibt der Kreis Calw unter allen Land- und Stadtkreisen Baden-Württembergs die rote Laterne in Sachen Erziehungsberatung noch nicht ab. Er ist aber nach der Verdoppelung des Angebots nicht mehr allein Schlusslicht. Die Laternenträger sind dann die Kreise Calw und Biberach zusammen.

Erinnern wir uns: Vor wenigen Jahren gab es im Landkreis Calw noch vier Vollzeitstellen in der Erziehungsberatung, (noch früher sogar sechs). Diese wurden bis auf eineinhalb Stellen abgeschmolzen. Als vor etwas über zwei Jahren die Kreisverwaltung den Antrag an den Kreistag stellte, eine weitere halbe Stelle zu streichen, konnte dies gerade noch von den Kreistagsfraktionen der SPD und der Grünen verhindert werden. Sie beantragten, zwei Stellen einzurichten und langfristig auf vier Vollzeitstellen auszubauen. Die Idee war, wieder in allen Mittelzentren des Kreises ein niedrigschwelliges Beratungsangebot vorzuhalten, damit alle Eltern im Kreis ein solches Angebot ortsnah wahrnehmen können. Der Kreistag folgte diesem Antrag der Grünen und der SPD nicht. Als Kompromiss blieb es aber immerhin bei den eineinhalb Stellen. Eine im März diesen Jahres veröffentlichte Studie der Landesarbeitsgemeinschaft für Erziehungsberatung Baden- Württemberg e.V., des Fachverbands der institutionellen Erziehungsberatung im Land brachte es an den Tag: Der familien- und kinderfreundliche Landkreis Calw weist mit 0,4 Erziehungsberatungsstellen pro 10.000 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre die geringste Erziehungsberatungsdichte von allen Kreisen in Baden- Württemberg auf. Die Kreis-SPD griff diesen Sachstand auf und ging damit an die Presse. Der darauf folgende Artikel im Schwarzwälder Boten mit dem Titel „Die rote Laterne hält der Kreis Calw fest in Händen“ traf den Nerv vieler Bürgerinnen und Bürger. Spontan (und entsprechend chaotisch) wurden Unterschriften von Eltern, Elternbeiräten, Lehrerinnen gesammelt. Der SPD-Kreisverband verabschiedete auf dem Kreisparteitag am 1. März eine Resolution , in der die Aufstockung des Erziehungsberatungsangebots des Landkreises gefordert wird. Die Kreistagsfraktionen der SPD und der Grünen wurden aktiv und wiederholten in einem Antrag an die Kreisverwaltung ihre Forderung nach einem umfassenden Bericht über den Stand des Angebots im Kreis und forderten ebenfalls eine Aufstockung. Am 9. Juli wurde dem Jugendhilfeausschuss in einem Antrag der Kreisverwaltung ein neues Konzept zur Erziehungsberatung vorgestellt: Fachdienst Erziehungspartnerschaft. Dieser soll, wenn Kinder oder Jugendliche auffällig werden, deren Eltern aufsuchen und beraten, um die gute Entwicklung dieser Kinder und Jugendlichen zu fördern. Es handelt sich in diesem Fall aber nicht um ein freiwilliges Beratungsangebot für die Familien, sondern sie werden aufgesucht. Dies ist durchaus sinnvoll und notwendig, ja seit kurzem gesetzlich gefordert. Der Paragraph 8a des 8. Sozialgesetzbuchs und das neue Gesetz zur Förderung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls verpflichten den Landkreis auch auf diesem Gebiet aktiv zu werden. Der Antrag der Kreisverwaltung sieht vor, eineinhalb zusätzliche Personalstellen für die Einrichtung dieses Fachdienstes zur Verfügung zu stellen. Damit schließt der Landkreis Calw zum zweitletzten Platz in der Landkreisliste in Sachen Erziehungsberatung auf, der vom Landkreis Biberach gehalten wird. Die Sache hatte nur einen Haken: Die Begründung zu dem Antrag der Verwaltung legte nahe, dass daran gedacht ist, die offene Erziehungsberatung mit Kommstruktur einzustellen. Ortsnahe Beratungsstellen, bei denen Eltern einfach anrufen können, wenn sie Schwierigkeiten mit ihren Sprösslingen haben, um beraten zu werden, sollte es nicht mehr geben. Wie anders soll man folgende Passagen aus der Begründung des Antrags der Verwaltung sonst interpretieren? „Beratungen in Partnerschafts-, Familien und Erziehungskonflikten nehmen überwiegend Ratsuchende aus der Mittelschicht in Anspruch, die sich ihres Beratungsbedarfs bewusst und die willens sind, zur Beseitigung bestehender Defizite selbst aktiv zu werden. Die traditionelle Erziehungsberatung im Landkreis Calw fand damit ihren Abschluss…. Es wird sich weder um ein freiwilliges Angebot handeln, noch ist eine „Komm-Struktur“ geplant. Nutznießer des Angebots sollen auch nicht Bürger aus der Mittelschicht sein, die ihre Defizite kennen, sondern defizitäre Familien, die aus eigenem Antrieb keine Beratungsstellen aufsuchen.“ An andere Stelle der Begründung liest man: „Nach Auffassung der Kreisverwaltung gehört es nicht zu den originären Aufgaben des Landkreises, für diesen Personenkreis ein kostenloses Beratungsangebot vorzuhalten.“ Hier irrt die Kreisverwaltung. Aus dem 8. Sozialgesetzbuch geht die Verpflichtung der Kommunen und Kreise zur offenen Erziehungsberatung klar hervor: § 16 Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie. (1) Müttern, Vätern, anderen Erziehungsberechtigten und jungen Menschen sollen Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden… § 17 Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung. (1) Mütter und Väter haben im Rahmen der Jugendhilfe Anspruch auf Beratung in Fragen der Partnerschaft, wenn sie für ein Kind oder einen Jugendlichen zu sorgen haben oder tatsächlich sorgen…. Die Kreistagsfraktionen der SPD und Grünen, viele Elternbeiräte, Eltern, Lehrer und die Öffentlichkeit nahmen das nicht hin:
  • Die Fraktionen formulierten einen neuen Antrag .
  • Die Elternvertreter setzen ihre Unterschriftenaktion fort.
  • Es fand ein Pressegespräch der Kreis-SPD, der Fraktionen der SPD und Grünen und Elternvertreter statt.
  • In der Pforzheimer Zeitung und im Schwarzwälder Boten erschienen Artikel, die das Anliegen aufgriffen, die offene Erziehungsberatung zu erhalten und bedarfsgerecht personell auszustatten.
  • Unterschriftenlisten gingen an den Landrat und die Fraktionsvorsitzenden im Kreistag zusammen mit Briefen von Elternbeiräten, z.B. des Elternbeirats des OHGs in Nagold und des Gesamtelternbeirats Calw).
Begrüßt wurde durchweg die Initiative des Landkreises für den Fachdienst Erziehungspartnerschaft, gefordert wurden aber auch mit Nachdruck der Erhalt und der adäquate Ausbau der offenen Erziehungsberatung. Landrat Köblitz reagierte nun. Kurz vor der Kreistagssitzung am 21. Juni, auf der die Anträge der Kreisverwaltung und der Fraktionen der SPD und Grünen auf der Tagesordnung standen, berief er die Kreisräte ganz kurzfristig zu einem informellen Gespräch ein. Bei diesem Gespräch stellte er klar, dass der Kreis an der offenen Erziehungsberatung festhält. Er kündigte zusätzliche Außensprechstunden in Calmbach und Nagold an. Er bestätigte ausdrücklich, dass es auch in Familien der Ober- und Mittelschicht Bedarf für eine Erziehungsberatung gebe und diese auch nach wie vor angeboten werde. Darüber hinaus sei vorgesehen, ein Jahr nach Einrichtung des Fachdienstes eine Evaluation vorzunehmen. Mit dieser Klarstellung wurde dann der Antrag der Verwaltung am 21. Juni 2008 einstimmig vom Kreistag angenommen. Die Verwaltung hat inzwischen einen Flyer herausgegeben, auf dem Sprechstunden der Erziehungsberatung im Kreis vermerkt sind. Wenn man sich etwas Mühe gibt findet man diesen Flyer sogar auf den Internetseiten des Landratsamtes, hier ist der Link dazu: Flyer Fazit: Sicher ist die Einrichtung des Fachdienstes Erziehungsberatung ein absolut notwendiger Schritt in die richtige Richtung. Die damit einhergehende Verdoppelung der Personalstellen für die Erziehungsberatung im Kreis Calw ist zu begrüßen. Die Kampagne der SPD, der Grünen der Eltern, Lehrerinnen, der interessierten Öffentlichkeit, die Unterstützung durch die Presse haben verhindert, dass das offene Erziehungsberatungsangebot im Kreis verschwindet. Dies zeigt, dass sich einzumischen und Protest zu organisieren Wirkung hat. Und mehr – es zeigt auch, wie wichtig Kreispolitik hier vor Ort ist. Sie betrifft alle Bürgerinnen und Bürger ganz direkt in vielen Bereichen, nicht nur bei der Müllabfuhr. Klar ist aber auch, dass wir nur ein Etappenziel erreicht haben. Der Kreis trägt in Sachen Erziehungsberatung immer noch die rote Laterne, nur jetzt eben nicht mehr ganz abgeschlagen. Klar ist jetzt schon, dass die jetzt beschlossene Personalausstattung für die Erziehungsberatung nicht ausreichen wird. Nach Auskunft des Landratsamtes wurde offene Erziehungsberatung im letzten Jahr im Kreis nur in 60 Fällen nachgefragt. Bei einem Kreis unserer Größe liegt der Landesdurchschnitt bei etwa 250 Nachfragen im Jahr. Will man nicht unterstellen, dass unser Landkreis völlig aus dem Rahmen fällt, kann das nur bedeuten, dass das Angebot des Kreises nicht ausreicht und zu versteckt gemacht wird. Ein Angebot, was man nicht kennt, nimmt man nicht in Anspruch! Wirft man einen Blick auf die Internetseite des Landkreises und sucht man den Flyer, so ahnt man, warum das Erziehungsberatungsangebot des Kreises in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Die Telefonnummern der Erziehungsberatungsstellen findet man auch nicht im Telefonbuch. Der Kampf geht also weiter. Nach der ersten Evaluation der Erziehungsberatung im Kreis Calw in einem Jahr muss der Bedarf an Personalstellen ermittelt werden. Ich bin sicher, dass sich ein weitaus höherer Bedarf als die jetzigen drei Stellen ergeben wird. Ein weiterer Ausbau steht dann an. Die SPD im Kreis wird dieses im Auge behalten. (Übrigens, im nächsten Jahr sind Kreistagswahlen: Die Bürgerinnen und Bürger können dafür sorgen, dass die SPD im Kreistag dann wesentlich stärker vertreten ist!) Ganz herzlich Dipper Richard Dipper
 
 

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